Mercedes-Benz O 319

«Die Inspiration – der alkoholfreie Rausch.»

Alexander Otto Weber, (1868 – nach 1927), deutscher Schriftsteller

 

An dieser Stelle präsentiere ich im lockeren, monatlichen Rhythmus ausgewählte Sammlerstücke aus der ISELI COLLECTION. Es sind Fahrzeuge, die nicht im Verkauf sind. Es geht vielmehr darum, dem Liebhaber von Klassiker-Fahrzeugen einzelne Preziosen zu präsentieren – und zu inspirieren.

«Auf Kinder wirkt er wie ein Teddybär, den sie am liebsten knuddeln wollen, auf Erwachsene so beruhigend wie ein Bernhardiner, der sie gerade aus einer Schneewehe gebuddelt hat. Ein Charaktertyp eben»

Peter MichaelyOldtimer-Journalist, in «Auto Bild Klassik» am 7.12.2012

Auto des Monats Frühjahr 2021

Mercedes-Benz O 319

Auf der IAA 1955 sorgte die Baureihe 319 von Mercedes-Benz für Aufsehen: Nach einer ganzen Generation neuer Lkw und nach neuen Omnibussen dehnte die damalige Daimler-Benz AG ab 1955 ihr Nutzfahrzeug-Programm in leichtere Gewichtsklassen aus. Mit 3,6 Tonnen Gesamtgewicht und kompakten Abmessungen kam die neue Baureihe L 319 für Handwerk, Handel und Gewerbe gerade recht. Der bedingt mittragende Aufbau war dem Transporter ähnlichen Modellen der Konkurrenz weit überlegen. Der erste Transporter mit Stern ist Vorläufer von zahlreichen erfolgreichen Nachfolger-Generationen von Mercedes-Benz.

Ungewöhnlich tritt der neue L/O 319 optisch auf: Fahren schwere und leichte Lastwagen in den 1950er-Jahren üblicherweise als Haubenwagen vor, so nutzte Mercedes-Benz für den leichten Transporter die platzsparende Frontlenker-Bauweise. Der ovale Grill des L/O 319 fasst vorne sowohl den grossen Stern als Markenzeichen ein als auch die Rundscheinwerfer. Analog zu Omnibus und Lkw ziert den Transporter ebenfalls ein Band aus Chrom. Es zieht sich unter der Windschutzscheibe quer über die rundliche Frontpartie bis seitlich über die Türen des Fahrerhauses.

Der handliche Bus O 319/O 319 D, zunächst im Werk Mannheim gefertigt, spielt als Sympathieträger eine besondere Rolle in der Karriere dieser Modellfamilie. Es gibt ihn ab 1956 sowohl in funktionellen Varianten für den Berufsverkehr mit bis zu 18 Sitzplätzen als auch in Versionen als Reisebus.

Spitzenmodell im Programm ist der O 319 mit Dachrandverglasung, Faltschiebedach, zweifarbiger Lackierung und Luxusbestuhlung für zehn Passagiere – heute würde man ihn als Club-Bus bezeichnen. Die Aussicht ist bestens, die Fahrgäste geniessen grossen Komfort. Einzelsitze mit Leder- oder Veloursbezügen, Armlehnen, verstellbare Rückenlehnen, Gepäckablagen und verchromte Aschenbecher verbreiten ein gehobenes Ambiente und sind für damalige Verhältnisse Luxus pur.

Zum Wagen

Einen O 319 im Originalzustand zu finden, ist sozusagen unmöglich. In all den Jahren war mir nur ein einziges Fahrzeug bekannt – es wurde von einem anerkannten Oldtimerhändler in Westfalen angeboten. Die meisten Fahrzeuge wurden zu Schrott gefahren oder zu einem Wohnmobil umgebaut. Dabei gingen leider viele Interieurs verloren und sind nicht mehr auffindbar.

Die intensive Suche führte zu einer Anzeige eines Hochdach-Busses. Dieser wurde speziell ab Werk für das Deutsche Rote Kreuz gebaut. Er diente mal als Personal-Bus, dann als Krankentransporter und zum Schluss als Funkeinsatzwagen. Für mich war in Sekundenschnelle ganz klar: Nicht zögern, die Chance packen und gleich mit dem Anhänger nach Deutschland fahren, kaufen, aufladen und nach Hause nehmen – so geschehen im August 2009.

Ein jeder, der mit Oldtimern zu tun hat, weiss was es bedeutet, ein Fahrzeug komplett zu restaurieren. Handelt es sich aber um ein Projekt mit Um- und Neuaufbau – und das bei einem Fahrzeug, welches im Markt sehr rar ist, und für das es kaum Ersatzteile gibt – dann braucht es Geduld, Nerven und Geld.

Zu den Projekt-Kosten:

Stufe 1: Wunschdenken – man budgetiert
Stufe 2: Ernüchterung – Anpassung Budget
Stufe 3: Realität – Kopf hoch und durch

Dank einer Projekt-Planungs- und Vorbereitungszeit von neun Monaten erfolgte Umbau und Restauration in gut 15 Monaten. Natürlich ist man nie fertig, und es gab noch viele Anpassungen und Änderungen, die wir vornehmen mussten. Über das ganze Projekt habe ich ein Buch geschrieben, dokumentiert mit sehr vielen Fotos. Die erste Auflage ist vergriffen, eine Neuauflage mit einem zweiten 319 ist in Vorbereitung.

Mein O 319 ist ein einmaliges Exemplar: Ein Hochdach-Bus, mit Panoramafenstern, Faltschiebedach, 14-Sitzer (davon 3 Notsitze) und Lederausstattung. Ein Traum von einem Fahrzeug! In den vergangenen neun Jahren hat der Bus schon sehr viel erlebt: Unzählige Fahrten durch die Schweiz, Auslandsreisen mit Anhänger – allein vier Mal nach Apulien. Grosses Auf- oder besser Ansehen erzielte mein O 319 bei der Silvretta Classic 2019. Der Bus war «everyone’s darling». Ich verweise auf den Bericht in der «Auto Motor Sport», Heft 16, vom 18. Juli 2019.

Meine Begeisterung für die O/L 319 hat dazu geführt, dass ich in den vergangenen Jahren einige Exemplare gekauft habe. Viele stehen da und warten, auf dass sie wieder zum Leben erweckt werden. Einen L 319 Pritschen-Wagen mit Plane liess ich inzwischen komplett restaurieren. Dieses sensationell schöne Fahrzeug wird irgendwann an dieser Stelle präsentiert.

Bilder sagen mehr als Worte, lassen wir sie sprechen …